Mein wahres Leben

Bericht: Rita / Fotos: Stephan


Mein wahres Leben

Hoi zäme,
bereits vor Jahren besuchte ich die Webseite von GWHF und bekam damals das Gefühl, dass es sich um einen reinen „Crossdresser“ Treff handelt und ich mit meinen verwirrenden Gedanken, da eher fehl am Platz bin. Seit meinen letzten zwei besuchen musste ich mein Missempfinden revidieren.

Olivia

 

Seit 2 ½ Jahren nehme ich gegengeschlechtliche Hormone zu mir und lebe seit einem Jahr (24/7) mein wahres Leben. „Ich war innerlich immer ein Mädchen und jetzt werde ich langsam zur Frau“.

Hat die Seele ein Geschlecht? Mit dieser Frage beschäftigte ich mich mein halbes Leben lang und kam für mich zum Schluss, eher nicht! Woher stammt denn meine Unstimmigkeit? Ich bin eine Frau, die ihr bisheriges Leben als Mann verbracht hat und dabei meistens sehr glücklich war. Etwa seit meinem fünften Lebensjahr weiß ich von meiner Unstimmigkeit und konnte sie lange nicht verstehen und annehmen. Viele spontane Handlungen öffneten mir mit der Zeit die Augen und ich begann ganz langsam dazu zu stehen. Lebte meine weibliche Seite im Versteckten bis ich dann soweit war und mein sogenanntes „Intig“ abschließen konnte. Es dauerte weitere Jahre um einzusehen, dass ich diesen Weg gehen muss. Es nicht anders geht, bis es Stimmig wird. Trans* bedeutet für mich, die Phase in der ich momentan stecke.

Es brauchte Zeit und Offenheit mir selber gegenüber, um zu erkennen wer ich wirklich bin. Das Gefühl der inneren Zerrissenheit. Es wird oft einfach gesagt, wir Trans*Menschen leben im falschem Körper. In der Wirklichkeit ist dieses Empfinden aber sehr Individuell. Es können Jahrzehnte vergehen bis diese Diskrepanz zum Vorschein kommt und sich festigt. Es sind einzelne Teile des Körpers die ich nicht als Stimmig empfinde und dieses Empfinden erfahre ich auch nicht konstant, sondern bemerke es weitgehend unbewusst und unterschwellig. Es sind die kleinen Dinge die es ausmachen wie die fehlende weibliche Brust, überflüssiger Penis, Bartwuchs und Körperbehaarung. Aber auch Verhaltensmuster und Bekleidungsvorstellungen die ich deswegen nicht leben durfte. Da es nicht Gesellschaftskonform war oder vom Umfeld falsch interpretiert und verstanden wurde.

Ich traute lange nicht jemanden darauf anzusprechen was mich beschäftigte. Ich war vor der Pubertät eher schüchtern. Wusste auch nicht weshalb ich diese verwirrenden Gefühle empfand und deswegen unstimmig mit meinem Körper war. Erst ab 2001 begann ich es langsam meine besten Freunde zu gestehen, was mich bereits mehr als mein halbes Leben beschäftigt. Aber ich wusste damals noch nicht das eine „Transition“ möglich ist und wie weit ich bereit bin zu gehen, oder ob ich diesen Weg überhaupt gehen möchte. Ich hatte auch Angst davor mich psychisch beurteilen und als Krank deklarieren zu lassen und mich so gesellschaftlich wie auch wirtschaftlich in den Abgrund zu werfen. Auch hemmte mich die Vorstellung von operativen Eingriffen und den enormen Kosten die anfallen. Zehn Jahre später, weiß ich das ich mich dagegen nicht wehren kann und den ganzen Weg gehen muss, um zur Ruhe und so zu mir selbst kommen kann.

Ich lernte mein Verhalten in Situationen zu beobachten, zu reflektieren und auf die inneren Bilder zu hören. Die kleinen funken die vom Unterbewusstsein kommend durch das Gehirn blitzen. Diese und andere Gedankengänge führe über die Planung dem Frau sein mehr Freiraum zu geben, bis zur unausweichlichen Entscheidung. Ich mag mich noch gut an den Moment erinnern, als ich alleine zu Haus und fertig gestylt vor dem Spiegel stand und für mich einsehen musste, dass ich den „point of no returne“ bereit überschritten hatte. „Das bin ich!“ Ich werde meinen Körper entweder angleichen oder meinen Frieden mit ihm schließen müssen. Ich habe dann wirklich verstanden, dass ich etwas ändern musste, um glücklich zu sein. Meine inneren Bilder sind seit dem ich auf dem Weg bin sanft geworden. Ich erlebe fast ständig den Zustand des Flow. Als wäre dieser Weg für mich bereit vorgeschrieben. Ich liebe Philosophien und stehe auf Wissenschaften. Etwas zu hinterfragen und Steine umzudrehen. Trotzdem verspüre ich den Sog des Flusses, der mir scheinbar den freien Willen entzieht.

Meine Diskrepanz äußert sich vor allem beim Körper. Mit Veränderung der Körperaspekte durch Hormone ist ein großer Schritt möglich, doch bleiben diverse Körperelemente so wie bisher und können nur medizinisch angepasst werden. Dies sind rein Körperliche Aspekte, wohl natürlich im alltäglichen mit der „richtigen“ Kleidung kaschiert werden können. Die Darstellfunktion der Kleidung ist mir seit dem ersten Schuljahr bereits aufgefallen, als ich das Buch vom tapferen Schneiderlein las. Die Reaktion der Mitmenschen, angeschaut, beurteilt und eingeschachtelt zu werden. „Ich bin was ich aus mir mache, bekleide meinen Körper nach meinem Selbstbild zur Identifikation und zur Kommunikation.“ Nicht die Haut empfinde ich als Körpergrenze sondern die Kleidung. Trotzdem bleibt die Haut auf dem Körper und auf den bauen wir unsere gesehene Persönlichkeit auf. Von der Kleidung, über das Bewegungs- und Verhaltenmuster, die uns weiter formen zur Stimmlage oder der Melodie die wir verwenden. Um als wir selber wahrgenommen zu werden. Wir verwenden so viele aufgesetzte gesellschaftliche Attitüden um uns voneinander zu unterscheiden oder eben gerade das Gegenteil, zur Identifikation. Und wenn der Geist mit der Materie nicht übereinstimmt? Wie soll mit solch einer Einschränkung je eine Kommunikation entstehen, die nicht zwangsläufig ins Missverständnis führt.

Rita kam wegen dem Bericht auf mich zu, aber irgendwie wollte ich nicht schreiben wie ich den Abend empfunden habe.

Einerseits sehen ich mich nach meiner weiblichen Natürlichkeit, andererseits kenne ich meine Verkleidungslust. An den beiden Abenden habe ich mich zu sexy gegeben, was sicher auch eine Seite von mir ist. Doch meistens bin ich ein Freakgirl. Ich liebe Skate und Snowboarding, rase gerne mit dem Bike Berge hinunter und wenn ich am Meer bin, packe ich das Surfboard aus. Nebenbei gehe ich Klettern oder bin irgendwo in der Natur unterwegs. Und wenn ein Feuer zum Grillen gemacht werden muss, dann mach ich das. Also richtig ein sportliches Naturmädchen. Mit mir kann man Pferde stehlen und ab und zu habe ich auch gerne leicht einen Sitzen.

Im nachhinein reflektiert, war der Abend für mich reine Fashion Show und ich sah in vielen Gesichter, mich vor 10 Jahren.

Schön war’s, aber einfach viel zu kurz. Freue mich schon auf mein nächstes Treffen mit euch 😉

Liebe Grüsse Olivia