Mein erster öffentlicher Auftritt

Frühmorgens, irgendwo in der Nordwestschweiz

Heute ist es soweit! Heute geht‘s in die mir bis dahin noch unbekannte Ortschaft Wangen an der Aare. Aber nicht die Unbekanntheit des Ortes macht mich nervös, sondern das was mich an meinem ersten GWHF-Treffen erwartet. Und vor allem ist es das erste Mal, dass ich tagsüber als Vayana an die Öffentlichkeit gehe. Mir kommt in den Sinn was ich alles noch erledigen muss und werde immer nervöser. Kleider heraussuchen, aber welche? Bin ich damit underdressed, wie geht Vayana an ein solches Treffen? Nein das passt gar nicht, also alles nochmals ausziehen und ratlos vor einem Berg Kleider stehen. Verflixt, rasieren muss ich ja auch noch! Gut, das gibt mir Zeit, nochmals die Kleiderwahl zu überdenken. Im Badezimmer gehen mir wieder tausend Gedanken durch den Kopf. Wie ich meiner Frau vor etwa 2 Jahren mitteilte, dass es in mir noch eine andere Seite gibt. Wie liebevoll und verständnisvoll sie darauf reagiert hat. Wie wir zusammen nach Bern zu Gloria fuhren und ich wertvolle Schmink- und Styling-Tipps bekommen habe. Aber als Frau rausgehen, das war in dieser Zeit so wenig möglich wie als Mann. Bars und Restaurants waren geschlossen und die ganze Welt hoffte auf baldige Besserung der Corona-Pandemie. Dies verunmöglichte es mir, mich in der Öffentlichkeit als Frau, als Vayana zu erleben und zu experimentieren. Zu gerne wäre ich gestylt rausgegangen und hätte mit meiner Frau einen Mädelsabend genossen, doch dies war in dieser Zeit nicht möglich, wegen Corona und vielen anderen Umständen, die damals herrschten. Und so wurde das GWHF-Treffen im August 2021 zum ersten öffentlichen Auftritt von Vayana und ich war so nervös wie damals als Kind bei der Schulaufführung kurz bevor der Vorhang aufging.

Nachmittags, am Schminktisch

Die Abfahrt rückt näher und näher, die Nervosität wird immer grösser. Draussen beginnt es zu regnen, wie so oft diesen Sommer. Ich beschäftige mich mit allem Möglichen und Unmöglichen, einfach weil ich noch zu nervös bin um mich konkret vorzubereiten und so vergeht der Tag allmählich. Dann endlich beginne ich mit dem Schminken und es artet im Desaster aus. Ich schwitze ebenso viel Wasser raus wie die Wolken gerade runter lassen und nichts hält auf meinem Gesicht. Und je weniger mir das Schminken gelingt, umso unruhiger werde ich. Ich beginne von vorn, wieder klappt es nicht wie ich es will. Jetzt merke ich dass die Zeit langsam knapp wird. Also ein allerletztes Mal alles abschminken und nochmals beginnen. Mit dem Resultat bin ich gerade mal mässig zufrieden aber jetzt ist es zu spät, um nochmals zu beginnen und alles was ich jetzt noch mit meinen nervösen Fingern mache, zerstört mehr als dass es Vayana zur Schönheit verhilft. Letzte Kleider anziehen, Autoschlüssel verzweifelt suchen, Tasche packen und raus zum Auto.

Am Abend auf der Autobahn

Der Regen wird immer stärker. Meine Nervosität weicht der Konzentration die Strasse zu erkennen und ich vergesse ganz, dass ich als Vayana unterwegs bin. Kurz erhasche ich einen Blick im Rückspiegel von mir selbst und bin richtig stolz so weit gekommen zu sein. Hätte mich meine Frau heute nicht unterstützt, wäre ich nicht eingestiegen. Ich bin stolz auf sie und mich. An meinem Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft aber auch in meinem Freizeitumfeld weiss niemand etwas von Vayana. Vielleicht ist Vayana dafür auch noch zu jung und muss erst ihren Weg finden, um entscheiden zu können wem sie sich zeigt und wem nicht. Ich lasse das auf mich zukommen. Während der Regen weiterhin meine Fahrt erschwert lasse ich meine Gedanken in die Vergangenheit schweifen. Zurück in die Vergangenheit in welcher ich noch keinen Namen hatte für diese relevante andere Seite in mir. Wie ich mich als Jugendlicher in Frauenkleidern mitten in der Nacht rausgeschlichen habe. Oder später in den ersten festeren Beziehungen dies verheimlicht und versteckt habe. Je mehr ich dies aber versteckte umso schlechter ging es mir. Je mehr ich es unterdrückte desto grösser wurde der Selbsthass. Ich kannte niemand, mit dem ich diese Gedanken und Bedürfnisse teilen konnte, der mir etwas zum Thema Crossdresser erzählen konnte. Bestenfalls Tantchen Google, aber auch da fand ich kaum Antworten die mir halfen. Viel musste passieren bis ich mich meiner jetzigen Partnerin so zeigen konnte. Da plötzlich reisst mich das Navi aus den Gedanken, das hier ist meine Ausfahrt und da vorne ist schon der Parkplatz. Ich vergesse ganz meine Nervosität und wähle einen Parkplatz ganz nahe am Eingang um nicht beim Hineingehen vom Regen weggespült zu werden. Ich öffne die Tür und renne durch den Regen.

Am Abend im Hotel Al Ponte

Jetzt erst realisiere ich, dass ich einfach ohne Zögern rein gerannt bin und da stehen schon ganz viele hübsche Damen. Ich gehe langsam auf die Gruppe zu, werde freundlichst begrüsst und lerne unzählige Namen, die ich mir niemals merken kann. Also auch als Vayana habe ich ein lausiges Namensgedächtnis… Ich grinse innerlich über diesen Gedanken und begrüsse bereits die nächste Frau. Es ist ein wunderschöner Abend mit so viel spannenden Menschen und schönen Gesprächen. Ich fühle mich sicher und werde immer ruhiger. Ich fühle mich auch nicht so verschlossen, wie ich als Mann meistens bin, sondern geniesse es mit allen zu reden. Ich höre Geschichten über deren Outings, deren Leben, deren Verständnis und Denkweisen und bin einfach nur beeindruckt.
Nach einem wunderschönen kurzen Abend geht‘s zwar noch für einen letzten Drink weiter in eine Bar. Doch auch da vergeht die Zeit wie im Flug und ich geniesse die Gesellschaft und mich als Vayana unter Menschen wohl zu fühlen.

Ich bin stolz, ans Treffen gegangen zu sein. Die Eindrücke, die Gedanken und die vielen Themen schwirren noch lange in meinem Kopf herum. Aber auch Dankbarkeit für diesen herzlichen Empfang an meinem ersten Treffen. Und es werden sicherlich noch viele folgen. Ich freue mich schon jetzt, auch wenn ich jetzt schon weiss, dass ich auch das nächste Mal wieder überfordert vor einem Kleiderberg stehen werde und nicht weiss was ich wählen soll, aber so ist Vayana.