Bericht und Fotos: Daniela Cross
Liebe GWHF-Familie
Ihr fragt euch, wieso ich Gedanken zum Herbst hier im Forum mit euch teile – was das mit GWHF zu tun hat? Nun, es hat einerseits ganz aktuell mit der Jahreszeit Herbst zu tun und mit einem Foto andererseits, das mir kürzlich in die Hände gerutscht ist. Es hat mit dem Leben von Fleur zu tun – dem Leben zwischen den Geschlechterwelten – das sicher viele Aktive und Follower von GWHF unterschiedlich erleben.
Das Foto in meinen Händen, ein analoges Bild, zeigt mich mit 15 Jahren. Es war an einem sonnigen Herbsttag früh am Morgen, die Sonne stand tief und liess mein Gesicht in warmen Farben leuchten. Meine Nase funkelte in verschiedenen bräunlichen Farben – es waren die dezenten und doch sichtbaren Sommersprossen auf meiner Haut. Das hätte glatt auch ein Mädchen sein können, ging mir durch den Kopf – die weichen Gesichtszüge, die neckische Sommerspossennase, die schulterlangen Haare, die leicht rötlichen Lippen im Sonnenlicht, als ob sie eben geküsst hätten – aber, das ist ein anderes Thema.
Zurück zum Herbst. Wir kennen alle diese Jahreszeit, welche die Wälder bunt färbt, den Boden zum Rascheln bringt und die langen Schatten an Sonnentagen, welche Land und Städte teils mystisch verändern. Und die unzähligen Nebelschwaden, welche die Landschaft so oft verzaubern und weichzeichnen, märchenhafte Stimmungen erzeugen und Spielraum lassen für eigene Landschaftsbilder. Bisweilen lassen sie uns auch leiser werden und innehalten. Ich mag den Herbst als Jahreszeit.
Mein Bericht kreist jedoch um einen anderen Herbst. Es ist ein Begriff, den man allgemein kennt. Ich rede vom «Herbst des Lebens».
Zu mir. Nüchtern betrachtet habe ich mit 66 Jahren – gemäss Statistik – über ¾ meines Lebens hinter mir. Paff! Wie ich meine Zeit bisher gelebt habe, das ist eine andere und wohl längere Geschichte.
Zurück zum Herbst. Meine Sommersprossen haben sich vor Jahrzehnten schon verflüchtigt – es sind jetzt Pigmente von Altersflecken, die zunehmend meine Hände und Gesichtspartien überziehen. Sie sind grösser und matter als die damaligen, sympathisch und frisch anmutenden Sommersprossen.
Untrüglich stehen die Zeichen im Gesicht – Fältchen da und dort, schlaffe Haut nicht nur am Hals. Die Hände spiegeln unverblümt das eigene Alter. Wer macht sich da nicht Gedanken rund um das älter werden, den Herbst und Spätherbst des Lebens – auch über den nachfolgenden Winter, im Bewusstsein, dass es keinen Frühling mehr geben wird.
Es sind so Fragen wie – bleibe ich gesund – behalte ich meine sozialen Kontakte – wo und wie lebe und sterbe ich, selbst- oder fremdbestimmt – kann ich mein Wunschleben im Alter auch finanziell stemmen – bleibe ich glücklich – was machen die geopolitischen Veränderungen mit uns – und viele andere Fragen, die halt sehr individuell sind.
Ausgeprägt eigen jedoch sind all die zusätzlichen Fragen und Gedanken von Fleur – so wie es vielen queeren Menschen geht – ich habe nur noch nie darüber gelesen.
«En Femme» zu sein – notabene meine Lebensbegleitung – wie lange geht das noch? Was ist, wenn meine Hände unruhig werden und den Fineliner nicht mehr führen können? Unmöglich ist die Vorstellung, meine Körperrasur nicht mehr allein machen zu können. Kann ich in sieben Jahren mit meinen Stiefelchen und Heels noch adrett gehen? Sollte ich nicht schon längst meine Haartracht dem Alter anpassen – zum grauen Ton endlich ja sagen, meine Röcke nicht mehr zu kurz tragen? Merke ich auch in zehn Jahren noch, wenn meine Bluse und Lippenstift farblich nicht mehr zueinander passen, der Lipliner auch nicht passt? Nicht mehr Autofahren – wie soll ich mich denn gestylt dann bewegen?
Spüre ich rechtzeitig, wenn die Eigenwahrnehmung und Aussenwahrnehmung schleichend auseinanderdriften, wenn mein Geist, meine Wahrnehmung sich langsam verändern? Oder wird mir meine liebe Frau irgendwann sagen müssen – hey Daniela, wir müssen reden! Ist es nicht an der Zeit, deinen Aktionsradius zu verkleinern, nicht mehr «Outdoor» zu gehen – was meinst du dazu? Schatz, es geht um deinen Schutz!
So banal diese Fragen und Gedanken für Aussenstehende sein können – so essenziell sind sie hingegen für mich.
Wenn ihr mich fragt, wie ich mich dabei fühle? Als ob ich von Nebelschwaden umgeben wäre, Schwaden wie ein dicht gewobenes Gewand mit rauer Faser, welches auf der Haut kratz und sich ganz und gar nicht leicht tragen lässt – es ist ein Nebeldunst ohne jegliche Mystik und Zauber.
Meinem sonnigen Gemüt verdanke ich, dass solche Phasen sich immer wieder auflösen – dass sich das raue Gewand stets wieder öffnen und ausziehen lässt und flugs zurück zur Manufaktur verschwindet – bis zum nächsten Mal.
Ich bin dankbar dafür – aber trotzdem auch dankbar für diese sporadischen Phasen des Innehaltens. Sie gehören zum Leben – sie helfen neue Wege zu finden, zu fokussieren und dem «Jetzt» genügend Beachtung zu schenken.
Es gibt viele gescheite Ratgeber für ein gutes Leben im Alter – ich halte mich mit Vorschlägen zurück – das ist doch auch sehr individuell, nicht wahr? Vorsorge da und dort – und doch, was morgen ist weiss niemand. Wie schnell können sich, selbst über Nacht, grosse Veränderungen einstellen – abrupt und für immer. Morgen ist vielleicht zu spät – vielleicht ist morgen schon tiefer Winter ohne jegliche Erinnerungen an goldene Herbsttage? Zu diesem Szenario habe ich für mich noch keine Antwort gefunden. Ich schiebe es, wenn ich ehrlich bin, schon eine Weile vor mir her.
Ich sage mir vermehrt – komm Fleur, mache dich hübsch und geh unter Menschen, lebe jetzt!
In diesem Sinne möchte ich besonders euch Mädels meiner Spezies ermuntern – auch die jüngere Generation – geht raus und gönnt euch diese wertvolle Zeit. Seid mutig! Wie habe ich es schon auf meiner Webseite gesagt: «Mut steht am Anfang des Handelns – Glück am Ende»
Ich wünsche sonnige Herbsttage mit zauberhaften Nebelschwaden von der Sorte «Jahreszeit».
Herzlichst – Daniela, eure Fleur