Der Tag begann wie jeder Tag, an dem ich mich in Bettina verwandle: mit einem Termin beim Barbier. Glatt muss die Gesichtshaut sein, bevor ich sie einem Makeup unterziehe.
Ich sehe mich als Crossdresser, getrieben von einer regelmässigen Lust auf einen Rollenwechsel. Mich en femme zu bewegen ist ein Abenteuer. Die Verwandlung, angefangen mit dem Schminken, die weiblichen Kleider, die Perücke. Es ist jedes Mal etwas anders, meist eine Freude, manchmal verbesserungsfähig und meist mehr Zeit in Anspruch nehmend als geplant.
So auch dieses Mal. In einem Jupe oder in einer Hose auf die Reise? Draussen ist es winterlich. Das Posieren vor dem Spiegel nimmt Zeit in Anspruch. Die Hose soll es sein. Sie passt perfekt in die Stiefel. Das passt. Dieses Reit-Outfit gibt ein gutes Gefühl, ist warm und lässt sich bestens mit dem Wintermantel kombinieren. Mir wird klar, wieso dies für viele Frauen der Winter-Dresscode ist.
Hinauszugehen und dann an der Bahnstation mit vielen anderen Menschen zu warten, ist natürlich auch Teil des Abenteuers – zwiespältiger als in der häuslichen Blase. Ich versuche mich weiblich, aber nicht schrill zu kleiden. Trotzdem falle ich wohl auf. Die Blicke, die mich treffen, sind wach. Erstaunen, Wohlwollen, ein Lächeln, manchmal auch unübersehbare Ablehnung. Im Zug sitze ich lieber allein in einem Abteil. Das ist an diesem Tag, Corona regiert, kein Problem.
Ich hatte mir die gwhf.ch-Seite schon viele Male angeschaut, Berichte gelesen und mir mehrmals vorgenommen, an einem Treffen teilzunehmen. Dass ich es dann doch nicht tat, hatte verschiedene Gründe, zuletzt kam immer wieder ein beruflicher oder privater Anlass dazwischen.
Aber jetzt, zum Anfang des neuen Jahres klappte es. Das ist doch ein Auftakt. Auf dem Weg zum Treffen entdecke ich ein fast leeres, museal wirkendes Städtchen namens Wangen an der Aare. Ein Bijou mit seinen alten Häusern, dem Stadttor und der Holzbrücke. Dann: einchecken, den Rollkoffer öffnen und umziehen im Hotelzimmer. Das Kleid für den Abend hatte ich schon länger ausgewählt. Es sollte zu den roten Pumps passen, die ich endlich mal ausführen wollte.
Darauf galt es ernst: runter zum Apéro. Einige Ladies sitzen schon da. Gegenseitige neugierige Blicke, ein freundlicher Empfang. Wie ich bald erfahre, gehört die Mehrheit zu den Stammgästen, aber ausser mir sind auch zwei neue Gesichter hier. Omikron mag schuld sein, dass die Runde klein bleibt.
Schon beim Apéro sind die Gespräche offen. Beim Essen und danach erfahre ich von eindrücklichen Lebenserfahrungen. Ich bin beeindruckt von dem Mut, der Entschlossenheit, die hier rund um den Tisch sitzt und der Direktheit, in der diskutiert wird.
Fotograf Stephan ermuntert mich, für ein paar Bilder zu posieren. Das tue ich gerne.
Danach wird an der Hotelbar geplaudert. Als die Al Ponte-Crew Feierabend macht, zieht ein Teil der Runde in eine Bar ein paar Dörfer weiter. Ich bin schon etwas müde und gehe darum lieber ins nahe Hotelzimmer. Davor gibt’s ein weiteres interessantes Gespräch.
Am andern Morgen unterschätze ich wieder den Zeitbedarf, um mich zurecht zu machen. Aber es fühlt sich gut an, en femme zu frühstücken und nach Hause zu fahren. Ich werde wieder kommen.
Bettina